Zuckerbrot und Peitsche zum Wachwerden

Der Morgen danach beginnt um 9 Uhr – nicht eben die Zeit, zu der Journalisten zu Höchstform auflaufen. Nach einem interessanten ersten Tag mit Diplom-Psychologe Jens Lönneker und der Podiumsdiskussion „Erklärer, Aufklärer, ‚Lügenpresse‘: Die Rolle der Medien in der Demokratie“ inklusive der verlängerten Diskussionsrunde an der Theke bei Bergischem Landbier geht es mit dem Vortrag „Lokaljournalismus 4.0 – Analyse und Ausblick“ von Prof. Dr. Wiebke Möhring, Institut für Journalistik an der Technischen Universität Dortmund weiter. Und in der Tat: Augenringe im weiten Rund, Kaffee aus Pappbechern und ein leichter Mensageruch aus der nebenan liegenden Küche – das Ganze hat definitiv Uni-Atmosphäre.

Die drei Kernthesen des Vortrags:
1. Die Redaktionen müssen mutiger werden.
2. Die Bedürfnisse des Lesers müssen genauer bedient werden.
3. Die Ressorts müssen (zum Teil) auf den Prüfstand.

Möhring gliedert ihren Vortrag in die Beantwortung von vier Kernfragen. Und sie trug viele Erkenntnisse der Forschung nach dem gleichen Muster vor. Erst ein kleines Lob, was wir schon alles erreicht haben, um danach eine – sehr nett formulierte und mit einem Lächeln vorgetragene – Kritik anzubringen, was wir bis heute alles verschlafen haben. Wer aufmerksam zuhörte, dürfte die eine oder andere Watschen bemerkt haben.

  1. Was wollen Menschen vom Lokaljournalismus?
    Durch die Globalisierung werden lokale Identitäten zwar nicht völlig aufgehoben, aber anders als früher verfügen die Menschen heute mitunter über mehrere regionale Identitäten. Und diese können sie durch die Globalisierung der Kommunikation besser pflegen – eine Chance für den (digitalen) Lokaljournalismus, die in der Branche noch nicht ausreichend genutzt wird.Ein Beispiel: Peter Mustermann wird im schönen Gummersbach geboren, studiert in München und zieht letztlich zum Arbeiten nach Hamburg. Sein Interesse an der schönen Heimat erlischt über die Jahre nie so ganz. Ein Abo der Tageszeitung würde er sich nicht nach Hamburg bestellen, aber im Netz sucht er häufiger nach Informationen über Gummersbach – eine Chance, die Lokalzeitungen besser nutzen müssen.Wobei: Einfach über die Heimat schreiben und schon klappt es auch mit dem Leser – ganz so einfach ist es natürlich nicht. Der Leser hat auch inhaltliche und qualitative Ansprüche, und da sehen wir laut Möhring ebenfalls nicht immer gut aus. So zeigen Befragungen:
    – der Leser vermisst vor allem mutigen Journalismus.
    – der Leser wünscht sich eine striktere Trennung von Meinung und Nachricht
    – dem Leser mangelt es an Themen, die ihn wirklich betreffen.

2. Was tun die Redaktionen für die Entwicklung des Lokaljournalismus?
Schon einiges, laut Möhring. Die Branche ist nach wie vor in Bewegung: Arbeitsprozesse werden geändert, Newsrooms neu strukturiert, es geht immer weiter Richtung Multimedialität, und viele Häuser arbeiten heute sehr crossmedial. Doch: Auch hier folgte auf die Streicheleinheit der kleine Klaps.  Viele Häuser wären in Sachen crossmediales Arbeiten zwar sehr aktiv, aber kaum eines hätte dabei eine erkennbare Strategie, bilanzierte Möhring.

Gleichzeitig warnte Sie in Sachen Weiterbildung und Mitarbeiterentwicklung vor einer zu großen Technikdominanz. Bei allem Druck zur technischen Weiterentwicklung: Entscheidend sei am Ende nicht die richtige Technik, sondern die richtigen Themen.

3. Was tun die Lokalredaktionen für die Menschen in ihrem Verbreitungsgebiet?
Laut Forschung gibt es eine vierstufige Pyramide in Sachen Informationsbedürfnis der Menschen. Auf der untersten, breitesten Ebene steht das Bedürfnis nach dem Zugang zur allgemeinen Weltbeobachtung. Es folgen die etwas kleineren eignen thematischen Interessen und Vorlieben. Noch spezifischer sind die gruppenbezogenen Bedürfnisse (Vereine, Berufsgruppe), bevor in der Spitze nur noch die situativ-individuelle Bedürfnislage übrig bleibt (Verkehr, Wetter, Öffnungszeiten)

Die Tageszeitung bedient, laut Möhring, bis heute klassisch vor allen Dingen die beiden Basisstufen am stärksten – andere Felder vernachlässigt sie aber und verschenkt damit unnötig Leserpotenzial. Die gruppenbezogenen Interessen befriedigen die meisten Menschen heutzutage über Soziale Netzwerke, die sich so konfigurieren lassen, wie es zur Gruppe am besten passt. Die große Frage hier ist, ob und wie Zeitungen es schaffen können, solche Gruppen zu gründen oder letztlich zu solch einer Gruppe zu werden.
Und auch bei der Erfüllung der individuell-situativen Infowünsche hinken wir hinterher. Eine verschenkte Chance, sagt Möhring. Im Normalfall haben wir alle Infos, die den Leser interessieren, oder wir wissen zumindest, wo wir diese beschaffen können. Bereiten wir dieses Wissen besser und konsumierbarer auf, dann kann dies eine riesige Chance für die Verlage sein.

4. Welche Aufgaben stehen für Lokalredaktionen an?
Nutzt das Netz besser! Der Rettungsanker für den Verkauf unserer Inhalte könnte die immer noch existierende Bedeutung lokaler Räume sein. Untersuchungen zeigen, dass 50% der Google-Anfragen einen lokalen geographischen Bezug haben. Und schon  wieder hatte Möhring ein Beispiel parat, warum unsere Verlage davon noch nicht so recht profitieren. Denn, wenn man seine lokalen Inhalte an den Mann bringen will, sollte man sie so aufbereiten, dass sie auch gefunden werden. Klingt logisch, ist aber leider immer noch nicht Alltag. Seine Infos über Gummersbach findet Peter Mustermann bei einer Google-Anfrage deutlich schlechter, wenn die Überschrift einfach nur lautet: „Das große Bauen hat begonnen.“ Steht da allerdings: „Gummersbach: Es gibt einen Bauboom“, wird unser Mustermann sehr viel besser fündig. Möhring: „Die Menschen gehen nicht auf unsere Homepage und schauen, was gibt es da so. Die Menschen kommen über Deep-Links zu einem speziellen Thema.“

Was wir auch oft falsch machen: Es ist nicht sinnvoll, digital die gleichen Gebiete und Zuschnitte zu nutzen, wie wir es im Print durch Produktions- und andere Zwänge machen. Im Klartext: In Print können wir den Menschen in Region A oft notgedrungen im Kern nur Infos aus dem Gebiet A anbieten. Aber diese Limitierung sollten wir online durchbrechen. Hier müssen wir eher an die Lebenswirklichkeit der Menschen ran: Wo arbeiten sie, wo kaufen sie ein? Und aus diesen Überlegungen müssen sich die Inhalte des Onlineauftritts gestalten, nicht nach dem Zuschnitt unserer Verbreitungsgebiete. Eine Ausgabengrenze darf kein Hemmnis sein.

Selbiges gilt für die existierenden Print-Ressorts: Möhrings Vorschlag zumindest für Online – weg von den klassischen Ressorts, näher ran ans Leben der Menschen. Passen nicht Freizeit und Verkehr besser als die bisherigen Ressorts Kultur und Wirtschaft? „Ressorts sind ein stark verankertes Ritual. Diese im Print noch einmal aufzubrechen, bringt wahrscheinlich nicht viel. Wer jetzt keine Zeitung liest, kommt auch nicht, wenn wir neue Ressorts erfinden“, sagt Möhring. „Aber: Digital kann das besser klappen, da wird auch viel probiert. Man muss auch unterscheiden zwischen der Zuordnung im Produkt und dem Bearbeiten in der Redaktion. In den Redaktionen müssen die Ressortgrenzen noch viel früher fallen.“

 

 

 

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